Über das Technische in der Homöopathik
(Vorwort CHK Bd3)

von Dr. Samuel Hahnemann (1837)

Seit ich zuletzt 1) zum Publikum von unserer Heilkunst sprach, hatte ich Gelegenheit unter andern auch Erfahrungen zu machen über die bestmögliche Art die Gaben für die Kranken einzurichten und ich teile hier mit, was ich für das Bessere in dieser Hinsicht gefunden habe.

Wenn ein feines Kügelchen von einer der höchsten Dynamisationen einer Arznei trocken auf die Zunge gelegt, oder mässiges Riechen in ein Fläschchen, worin ein oder etliche solche Kügelchen liegen, als die kleinste, schwächste Gabe von der kürzesten Wirkungs-Dauer sich erweisst (wiewohl sich doch noch Kranke von so erregbarer Natur genug finden, die, hinreichend zur Hilfe, davon affiziert werden in kleinen akuten Übeln, für welche das Mittel homöopathische gewählt war) so sieht man leicht ein, dass die unglaubliche Verschiedenheit der Kranken in ihrer Erregbarkeit, ihrem Alter, ihrer geistigen und körperlichen Ausbildung, ihrer Lebenskraft und vorzüglich der Natur ihrer Krankheit, (die eine natürliche und einfache, seit kurzem entstandene, oder zwar natürliche einfache aber alte, oder eine komplizierte (Verbindung mehrer Miasmen), oder aber, was das häufigste und schlimmste ist, eine durch verkehrte medizinische Behandlung verdorbene und mit Arznei-Krankheiten beladene sein kann) eine grosse Verschiedenheit in derer Behandlung  und so auch in der Einrichtung der Arzneigaben für dieselben nötig macht.

Ich kann mich hier nur auf letztere beschränken, da die anderen Rücksichten der Genauigkeit, dem Fleisse und der Überlegung des fähigen und seiner Kunst mächtigen Kopfes überlassen werden müssen und nicht in Tabellen für die Schwachen oder Nachlässigen aufgestellt werden können.

Die Erfahrung zeigte mir, wie gewiss auch die besten meiner Nachfolger, dass es hilfreicher sei, in Krankheiten von einer Beträchtlichkeit (selbst die akutesten nicht ausgenommen,  und so um desto mehr in den halbakuten, langwierigen und langwierigsten) das kräftige oder die kräftigen homöopathischen Arzneikügelchen nur in Auflösung und diese Auflösung in geteilten Gaben dem Kranken einzugeben, z.B. eine Auflösung aus 7 – 20 Esslöffeln Wasser bestehend, ohne einigen Zusatz bei akuten und sehr akuten Krankheiten, alle 6, 4, 2 Stunden, auch, wo die Gefahr dringend ist, alle Stunden, oder alle halbe Stunden, zu einem Esslöffel auf einmal, oder bei Schwächlichen und Kindern selbst nur zu einem kleinen Teile eines Esslöffels (ein zwei Tee- oder Kaffee-Löffelchen voll) dem Kranken gereicht.

In langwierigen Krankheiten fand ich für’s beste, eine Gabe (z.B. einen Löffel voll) von einer solchen Auflösung der passenden Arznei nicht seltener als alle zwei Tage gewöhnlich aber alle Tage einnehmen zu lassen.

Weil aber Wasser (selbst destilliertes) schon nach einigen Tagen zu verderben anfängt, wodurch auch die Kraft des kleines Arznei-Gehaltes darin vernichtet wird, so war ein Zusatz von etwas Weingeist nötig, oder, wo dies untunlich war, oder nicht vertragen ward, da liess ich, statt dessen, einige Stückchen harte Holzkohle zu der wässrigen Auflösung tun und erreichte damit meine Absicht, wenn man abrechnet, dass in letzterem Falle die Flüssigkeit sich nach einigen Tagen schwärzlich trübt. Von dem Schütteln der Flüssigkeit, die vor dem jedesmaligen Einnehmen einer Gabe nötig ist, wie man sehen wird.

Ehe ich weiter gehe, muss ich die wichtige Bemerkung machen, dass unser Lebens-Prinzip nicht wohl verträgt, dass man selbst nur zweimal nach einander dieselbe ungeänderte Gabe Arznei, geschweige mehrmal nach einander den Kranken einnehmen lasse.

Teils wird dann das Gute von der vorigen Gabe zum Teil wieder aufgehoben, teils kommen dann neue, in der Arznei liegende, in der Krankheit nicht vorhanden gewesene Symptome und Beschwerden zum Vorscheine, welche die Heilung hindern, mit einem Worte, die selbst treffend homöopathisch gewählte Arznei wirkt schief und erreicht die Absicht nur unvollkommen oder gar nicht.

Daher die vielen Widersprüche der Homöopathen unter einander in Absicht der Gaben-Wiederholung.

Wird aber zum wiederholten Einnehmen einer und derselben Arznei (was doch zur Erreichung der Heilung einer grossen, langwierigen Krankheit unerlässlich ist) die Gabe jedesmal in ihrem Dynamisations-Grade, wenn auch nur um ein Weniges verändert und modifiziert, so nimmt die Lebenskraft des Kranken dieselbe Arznei, selbst in kurzen Zwischenzeiten, unglaublich viele Male nach einander mit dem besten Erfolge und jedesmal zum vermehrten Wohle des Kranken, ruhig und gleichsam gutwillig auf.

Diese Veränderung des Dynamisations-Grades um ein Weniges wird schon bewirkt, wenn man die Flasche, worin die Auflösung des einzigen Kügelchens (oder mehrer), vor jedem Mal Einnehmen schüttelt mit 5, 6 kräftigen Arm-Schlägen.

Hat nun der Arzt die mehrern Esslöffel einer solchen Auflösung nach einander auf solche Art ausbrauchen lassen (so jedoch, dass, wenn das Mittel den einen Tag eine allzustarke Wirkung hervorbrachte, er einen Tag die Gabe aussetzen liess) so nimmt er,  wenn die Arznei fortwährend sich bisher dienlich erwiesen hatte, ein oder zwei Kügelchen derselben Arznei von einer niedrigen Potenz (z.B. wenn er vorher sich der dreissigsten Verdünnung bedient hatte, nun ein oder zwei Kügelchen der vierundzwanzigsten) macht davon die Auflösung in etwa eben so viel  Esslöffeln Wasser mittels Schütteln der Flasche, setzt wieder etwas Weingeist oder einige Stückchen Kohle hinzu und lässt diese Auflösung eben so, oder in längeren Zwischenräumen, auch wohl etwas weniger auf einmal, doch jede Mal nur nach fünf- sechsmaligen Schütteln ausbrauchen, so lange das Mittel noch bessert und keine neuen (andern Kranken nie begegneten) Beschwerden von der Arznei zum Vorschein kommen, als in welchem Falle eine andre Arznei an die Reihe kommen muss.

Erscheinen aber nur noch die Symptome der Krankheit, erhöhen sich aber unter diesem, selbst gemässigtern Fortgebrauche bedeutend, dann ist es Zeit, eine bis zwei Wochen oder länger die Arznei auszusetzten und ansehnliche Besserung davon zu erwarten. 2)

Wollte der Arzt, wenn eine solche Portion eingenommen ist und dieselbe Arznei noch für nötig befunden wird, eine neue Portion von demselben Potenz-Grade für den Kranken bereiten, so ist es nötig, die neue Auflösung so viel Mal anfänglich zu schütteln als die Schüttelschläge zusammen betragen, die bei der vorigen angewendet worden waren und noch einige Male mehr, ehe der Kranke die erste Gabe davon einnimmt, bei den folgenden Gaben jedoch nur wieder 5, 6 Mal.

Auf diese Weise wird der homöopathische Arzt allen den Nutzen von einer wohlgewählten Arznei ziehen, der sich für diese langjährige Krankheit mittels Einnehmens durch den Mund nur erwarten lässt.

Wird aber der kranke Organismus vom Arzte durch dieselbe angemessene Arznei zugleich noch auf andern empfindlichen Stellen affiziert, als an den Nerven im Munde und Speisekanale, wird, sage ich, dieselbe heilsam befundene Arznei in Wasser-Auflösung zugleich äusserlich (selbst in nur kleiner Menge) eingerieben an einer oder mehren Stellen des Körpers, welche am meisten frei von Krankheits-Beschwerden ist (z.B. an einem Arme, oder Ober- oder Unterschenkel, der weder auf der Haut, noch an Schmerzen, noch an Krämpfen leidet) so wird die heilsame Wirkung um Vieles vermehrt; man kann auch mit den dergestalt zu reibenden Gliedmassen abwechseln.

So erhält der Arzt noch bei Weitem mehr Vorteil von der homöopathisch passenden Arznei für den langwierig Kranken und kann ihn weit schneller heilen als durch blosses Einnehmen durch den Mund.
Diese von mir vielfältig erprobte und ungemein heilsam, ja mit dem auffallendst besten Erfolge begleitete Anwendung der (innerlich genommenen dienlichen) Arznei in Auflösung durch Einreiben in die Haut des äussern Körpers erklärt die, obschon seltnen, Wunderkuren, wo langwierig verkrüppelte Kranke mit heiler Haut in einem mineralischen Wasser, dessen arzneiliche Bestandteile von ungefähr dem alten Übel homöopathisch angemessen waren, schnell und auf immer von wenigen Bädern genassen. 3)

Das zu unsrer Absicht einzureibende Glied muss aber, wie gesagt, frei von Hautübeln sein, auch muss, um auch hier einige Veränderung und Abwechslung eintreten zu lassen, wenn mehre Gliedmassen frei von Hautübeln sind, ein Glied nach dem andern, wechselweise, an verschiedenen Tagen (am besten an den Tagen wo nicht innerlich eingenommen wird) mit einer kleinen Menge der Arznei-Auflösung, mittels der Hand, bis zur Trockenheit eingerieben werden. – Auch zu dieser letztern Absicht muss vorher die Flasche fünf, sechs Mal geschüttelt worden sein.

So bequem aber auch diese Verfahrungsart ist, und so gewiss auch die Heilung langwieriger Krankheiten sehr befördert, so war mir gleichwohl die in der wärmeren Jahreszeit für die unverdorben zu erhaltende wässrige Arznei-Auflösung zuzusetzende grössere Menge Weingeist oder Branntwein, oder die mehrern, zuzusetzenden Stückchen Holzkohle immer noch für manche Kranke anstössig.

Ich fand daher in der letztern Zeit folgende Verfahrungs-Art für sorgfältige Kranke vorzüglicher.

Von einem Gemische aus etwa fünf Esslöffeln reinem Wasser und 5 Esslöffeln Franzbranntwein – was man in einer verstopften Flasche vorrätig hält, tropft man 200, 300 oder 400 Tropfen (je nachdem die Arznei-Auflösung stärker oder schwächer werden soll) in ein Fläschchen, was davon über die Hälfte voll werden kann, worin das kleine Arzneipulver, oder das, oder die bestimmte Arzneikügelchen liegen, stopft es zu, und schüttelt es, bis letztere aufgelöst sind.

Dann lässt man hiervon 1, 2, 3 oder, nach Befinden der Erregbarkeit und der Lebenskräfte des Kranken einige Tropfen mehr in eine Tasse fallen, worin ein Esslöffel Wasser vorhanden ist, was man dann stark umrührt und den Kranken einnehmen lässt, und wo mehre Behutsamkeit nötig ist, auch wohl nur die Hälfte davon, so wie sich ein halber solcher Löffel auch recht wohl zur gedachten äussern Einreibung gebrauchen lässt.

An Tagen, wo man sich letzterer nur bedient, muss, wie zum innern Gebrauche, jedesmal vorher sowohl das kleine Tropfen-Fläschchen 5, 6 Mal stark geschüttelt, als auch der oder die Arzneitropfen samt dem Esslöffel Wasser in der Tasse wohl umgerührt worden sein.

Besser nimmt man, statt der Tasse, ein Fläschchen, worin ein Esslöffel Wasser getan und die Zahl der Arzneitropfen dazu getröpfelt worden ist, was man dann ebenfalls 5, 6 Mal zusammen schüttelt, und dann ganz oder zur Hälfte austrinkt.

Öfterer ist es in Behandlung langwieriger Krankheiten dienlich, das Einnehmen, so wie das Einreiben Abends, kurz vor dem Schlafengehen verrichten zu lassen, weil dann weniger Störung von aussen her zu fürchten ist, als wenn es früh genommen wird.

Als ich noch die Arzneien ungeteilt, jede mit etwas Wasser auf einmal einnehmen liess, fand ich die Potenzierung der Verdünnungs-Gläser durch 10 Schüttel-Schläge oft zu stark wirkend (ihre Arzneikräfte allzusehr entwickelt) und riet daher nur zwei Schüttelschläge an.

Seit einigen Jahren aber, da ich jede Arzneigabe in unverderblicher Aufösung auf 15, 20, 30 Tage und weiter zerteilen kann, ist mir keine Potenzierung eines Verdünnungs-Glases zu stark und ich verfertige wieder jede mit 10 Arm-Schlägen. Ich muss also das, was ich noch vor drei Jahren im ersten Teile dieses Buchs, S. 186 darüber schrieb hiermit wieder zurücknehmen.

In Fällen, wo grosse Erregbarkeit des Kranken sich zur äussersten Schwäche desselben gesellte und nur Riechen an ein Fläschchen mit einigen Kügelchen der dienlichen Arznei anzuwenden war, liess ich den Kranken, wenn die Arznei mehrere Tage nötig war, täglich in ein anderes Fläschchen mit Kügelchen von derselben Arznei, aber jedesmal von einem niedrigeren Potenz-Grade riechen, mit jedem Nasenloche einmal oder zweifach, je nachdem ich weniger oder mehr Eindruck machten wollte.

Anmerkungen

1) Zu Anfange des Jahres 1834 schrieb ich die ersten beiden Teile dieses Buchs, und ob sie zusammen nur 36 Bogen enthalten, so brachte doch mein voriger Verleger, Hr. Arnold in Dresden zwei ganze Jahre zu mit der Herausgabe dieser 36 Bogen; durch wen zurückgehalten? Dies können meine Bekannten erraten.

2) Bei Behandlung akuter Krankheits-Fälle verfährt der homöopathische Arzt auf ähnliche Weise.
Er löset ein (zwei) Kügelchen der hochpotenzierten, wohlgewählten Arznei in 7, 10, 15 Esslöffeln Wasser, (ohne Zusatz) durch Schütteln der Flasche auf und lässt den Kranken, je nachdem das Übel mehr oder weniger akut, mehr oder weniger gefährlich ist, alle halbe, alle ganze, oder alle 2, 3, 4, 6 Stunden (nachdem jedesmal die Flasche wieder wohl geschüttelt worden war) einen ganzen oder halben Esslöffel voll einnehmen, oder auch, wenn es ein Kind ist, weniger noch. Sieht der Arzt keine neuen Beschwerden hinzukommen, so fährt er in diesen Zwischenzeiten damit fort, bis die Anfangs vorhandenen Symptome sich zu erhöhen anfangen; dann gibt er seltener und weniger.
Wie bekannt ist in der Cholera die angemessene Arznei oft in noch weit kürzeren Zeiträumen einzugeben.
Kindern gibt man diese Auflösungen stets nur aus ihrem gewöhnlichen Trink-Geschirre ein; ein Ess- oder Kaffee-Löffel zum Trinken ist ihnen etwas Ungewohntes und Verdächtiges und sie verschmähen diese geschmacklose Flüssigkeit schon deshalb. Etwas Zucker kann dennoch für sie zugesetzt werden.

3) Dagegen richteten sie auch einen desto grössern Schaden an bei den Kranken, welche an Geschwüren und Haut-Ausschlägen litten, die sie, wie durch andere äussere Mittel geschieht, von der Haut vertrieben, worauf nach kurzem Wohlsein des Kranken Lebenskraft das innere, ungeheilte Übel auf eine andere Stelle des Körpers hin verlegte, die weit wichtiger für Leben und Wohlsein ist, so dass dafür, z.B. sich die Krystalinse verdunkelte, der Seh-Nerv sich lähmte, das Gehör verschwand, Schmerzen unzähliger Art den Kranken marterten, seine Geistes-Organe litten, sein Gemüt sich trübte, krampfartige Engbrüstigkeit ihn zu ersticken drohte, ein Schlagfluss ihn dahin raffte, oder ein andres gefährliches oder unerträgliches Leiden an deren Stelle trat.
Deshalb darf auch nie das Einreiben der homöopathischen, innern Arznei an Stellen angebracht werden, die an äussern Übeln leiden.

Quelle: Dr. Samuel Hahnemann, Die chronischen Krankheiten, ihre eigentümliche Natur und homöopathische Heilung, Dritter Teil, zweite viel vermehrte und verbesserte Auflage, 1837, Verlag von J. E. Schaub, Vorwort (unveränderter Nachdruck, Haug Vlg. o.J.)

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