von Jakob Henle, 1840
- Beginn der Arbeit Henles -
Es ereignet sich zuweilen, dass plötzlich in einem größeren oder kleineren Landstriche eine große Zahl von Individuen zu gleicher Zeit oder fast gleichzeitig auf dieselbe Weise erkranken. Solche Krankheiten heißen epidemische oder, wenn ihre Ausbreitung sehr ausgedehnt ist, pandemische.
Man sieht ferner, dass ein einem gewissen Landstriche die daselbst lebenden Individuen nacheinander auf dieselbe Weise erkranken, dass Personen, die, voher gesund, sich in solche Landstriche begeben, von der einheimischen Krankheit ergriffen werden. Solche Krankheiten nennt man endemische.
Epidemische und endemische Krankheiten sind also diejenigen, die gleichzeitig eine Menge Individuen auf dieselbe Weise affizieren, und der Unterschied ist nur der, dass bei den epidemischen die Krankheitsursachen das Individuum aufsuchen, bei den endemischen die Krankheitsursachen, örtlich gebunden, von dem Individuum aufgesucht werden.
Da Epidemien und Endemien die verschiedenartigsten Individuen ergreifen, ohne dass eine krankhafte Prädisposition vorausgesetzt würde, und da eine große Zahl zugleich und auf dieselbe Weise ergriffen wird, da selbst epidemische Krankheiten nicht auf die Gattung beschränkt bleiben, sondern sehr häufig Epidemien und Epizootien gleichzeitig herrschen: so müssen die Ursachen derselben von der Art sein, dass sie in weiten Strecken zugleich, in gewissen Strecken beständig wirken, und dass es schwer ist, sich dem Einfluss derselben zu entziehen.
Sieht man ab von gewissen Gewohnheiten der Lebensweise, der Kleidung usf. die wohl gewissen Völkerschaften und Regionen eigentümliche Krankheitsformen bedingen können, so kann man demnach den Grund epidemischer und endemischer Krankheiten nur in Nahrungsmitteln, in klimatischen Verhältnissen und in Einwirkungen der Atmosphäre suchen. Auch die klimatischen Verhältnisse wirken, soviel man mit Sicherheit weiß, nur durch die Konstitution der Atmosphäre. Diese bleibt also allein anzuklagen in allen Fällen, wo in den Nahrungsmitteln und Getränken, deren Beschaffenheit leichter zu untersuchen ist, die Krankheitsursache nicht entdeckt werden kann. Die Veränderungen der Atmosphäre, wodurch sie als äußere Schädlichkeit wirken kann, sind entweder physikalische oder chemische.
Die physikalischen sind Veränderungen der Strömung, ferner der Spannung und Temperatur, die sich durch Barometer- und Thermometerstand ausdrücken lassen, und der Elektrizität. Wir wollen dazu noch den hygrometrischen Zustand der Atmosphäre rechnen. Die nahe Beziehung, in welcher diese Verhältnisse zur Gesundheit der Menschen und Tiere stehen, ist durch tausendfältige Erfahrungen festgestellt, man kennt die Wirkung hoher Wärme- und Kältegrade und rascher Abwechslung beider; man kenn die Zufälle, Krankheiten oder Exazerbationen von Krankheiten, welche unter gewissen atmosphärischen Bedingungen, bei hohem Barometerstand u. dergl. Menschen von krankhafter Anlage befallen. Oft aber scheint die Heftigkeit und Verderblichkeit epidemischer und endemischer Krankheitsfälle zu der Veränderung der Luftbeschaffenheit in gar keinem Verhältnisse zu stehen, oft dauern sie bei allem Wechsel des Thermo- und Barometerstandes fort, oft zeigen sie sich ganz ähnlich in den verschiedensten Klimaten. Kommen dazu noch die Wanderungen, welche manche Epidemien, und also auch die Ursachen derselben innerhalb bestimmter Grenzen unternehmen, erwägt man endlich die hier und da erprobte günstiger Wirkung chemischer Agentien in Räucherungen und Dünsten gegen die Krankheitsursache, so scheinen die physikalischen Veränderungen der Atmosphäre zur Erklärung nicht ausreichend, und die Annahme einer beigemischten, die Luft vergifteten Materie, die sich transportieren, abscheiden, zerstören lässt, scheint unvermeidlich.
So entstand das Miasma, d.h. das Verunreinigende, als ein Begriff, und wenig mehr als ein Begriff, ist es bis auf unsere Tage geblieben, denn noch hat es sich durch keine Hilfsmittel unseren Sinnen wahrnehmbar darstellen lassen 1), noch weiß man nicht, in welches der Naturreiche, ja ob es überhaupt in eins derselben gehört, und man dürfte eben von diesem Wesen nichts weiter aussagen, ohne die empirische Basis gänzlich aufzugeben, wenn es nicht in gewissen Eigenschaften und Wirkungen übereinkäme, und dadurch sich identisch zeigte mit anderen krankheitserzeugenden Potenzen, die allerdings an palpable Stoffe gebunden, der sinnlichen Betrachtung zugänglich zum Teil auch schon sinnlich nachgewiesen sind, ich meine die Kontagien.
Anmerkungen
) Man darf mit der Luftverderbnis durch Miasmen nicht zusammenwerfen die Verderbnis der Luft durch Entziehung ihrer atembaren Bestandteile. Eingesperrte Luft, in welcher viele Organismen geatmet, und den Sauerstoff vermindert haben, kohlensäurehaltige Luft der Kloaken und Brunnen ist nicht miasmatisch, und erzeugt nicht miasmatische Krankheiten.
Herausgegeben von Karl Sudhoff, Verlag von Johann Ambrosius Barth, 1910
Hinweis: Ich denke, es könnte sich bei Dr. S. Hahnemann um eine phänomenologische Beschreibung handeln. Wie der Patient während der homöopathischen Kur z.B. sagt, "Warzen fallen ab", äußert er auch "es fällt Dunst ab".