Hereditäre Syphilis

Prähistorische Zeit

Fossile Funde

J. K. Proksch, 1895

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Angeregt wurde die Frage der prähistorischen Syphilis zuerst im Jahre 1877 durch M. J. Parrot (Les déformations craniennes causées par la syphilis hérèditaire - In: Associat. franc. pour l'avancem. des scienc. Congrès du Havre, 1877), welcher ihr bis zu seinem 1883 erfolgten Tode die grösste Aufmerksamkeit schenkte.

Dieser Forscher hatte als Professor der Kinderheillkunde hinreichende Gelegenheit, im Hôpital des Enfants-Assistés in Paris die eingehendsten Beobachtungen über die pathologische Anatomie der hereditären Syphilis, besonders aber über die Erkrankungen der Knochen zu machen.

Seine Untersuchungen sind auch in einer Reihe von Schriften veröffentlicht, in denen er unter anderm zu dem hier interessierenden Schluss gelangte, dass die hereditäre Syphilis an dem Skelett, namentlich am Schädel und an den Zähnen, solche Veränderungen hervorbringt, welche für diese Krankheit charakteristisch, und mit andern durch die übrigen Kachexien bedingten Produkten durchaus nicht zu verwechseln sind. Da nun Parrot dieselben Veränderungen, die er an den frischen Knochen syphilitischer Kinder gesehen hatte, auch an solchen Kinderschädeln fand, welche aus den als prähistorisch angenommenen Gräbern in Amerika und Frankreich zu Tage gefördert wurden, so sah er sich veranlasst, die Existenz der Syphilis in prähistorischen Zeiten anzunehmen.

Freilich sind pathologische Merkmale der Knochenerkrankungen auch heutzutage noch nicht für Jedermann ausser Zweifel gestellt.

Geschieht es doch noch im Zeitalter der Bakteriologie, dass der eine Fachmann am Lebenden oder an frischen Leichenteilen mit aller Bestimmtheit "Schädelknochentuberkulose" diagnostiziert, während der andere denselben Fall ebenso bestimmt für "Schädelknochensyphilis" erklärt; von Verwechslungen mit anderen Dyskrasien, deren spezifische Mikroben noch nicht ermittelt sind, ist gänzlich zu schweigen.

Immerhin ist jedoch so viel sicher, dass gewisse, hier eben in Betracht kommende Affektionen des Skeletts, besonders des Schädels und der Zähne, häufig oder zumeist der Syphilis zugeschrieben werden müssen; und darum haben die aus sorgfältigen Untersuchungen gezogenen Schlüsse Parrot's u. A. gegenwärtig eine vollkommen wissenschaftliche Berechtigung; wenn auch vorerst das Alter der erwähnten Gräber noch festzustellen ist.

Die Nachweisbarkeit der Knochensyphilis an alten fossilen Schädeln wurde übrigens schon früher von anderen massgebenden Autoren angenommen, jedoch handelte es sich bei diesen nicht um prähistorische Funde.

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Die Veränderungen, welche die hereditäre Syphilis am Schädel erzeugt, sind nach Parrot die Craniotabes, von welcher er zwei Varietäten unterscheidet; ferner die Osteophytenbildungen, welche dem ergriffenen Schädel sehr häufig eine typische Deformation geben, die er als "natiform" bezeichnet; und endlich die bekannten Abnormitäten der Zähne in beiden Dentitionen.

Von den ziemlich zahlreichen Untersuchungen Parrot's seien nur die über einige Knochenfragmente vorgeführt, welche Dr. Prunières de Marvejols in den Gräbern und Höhlen von la Lozère gefunden hat, und die, wie man annimmt, gewiss aus der prähistorischen Zeit Frankreichs, ungefähr aus den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung, herstammen sollen.

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Quelle: Die Geschichte der venerischen Krankheiten. Eine Studie von J.K. Proksch in Wien. Erster Theil: Alterthum und Mittelalter. Bonn, 1895

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